Pacific Crest Trail: Die ersten Tage auf dem PCT – Cascade Locks bis Mt Hood, Oregon

Es ist Anfang Juli und bereits richtig heiß, als mich der Bus am späten Vormittag auf die verlassene Hauptstraße ausspuckt.

Auf einer Länge von 4.265 km führt der Pacific Crest Trail nur zwei Mal durch Ortschaften. Und in einer davon stehe ich jetzt: Cascade Locks, ganz im Norden von Oregon. Hier, an der Bridge of the Gods, die sich über den mächtigen Columbia River spannt und die Grenze zwischen Oregon und Washington markiert, wo Cheryl Strayed in “Wild” einst ihre PCT-Wanderung beendete, starte ich meine.

Zwei Monate werde ich auf dem Pacific Crest Trail alleine durch die Wildnis von Oregon und Kalifornien wandern. Kein “Thruhike” des gesamten Trails (dafür braucht man 5-6 Monate), sondern ein Section Hike – genauer gesagt ein “long-ass” section hike (LASH).

Es ist meine erste Fernwanderung (!) und mein bisher größtes Abenteuer.

Mein holpriger Start in Oregon (statt Kalifornien)

Dass ich in Oregon starten und den PCT nach Süden anstatt wie üblich nach Norden wandern würde, wusste ich bis vor zwei Tagen noch nicht einmal. Ursprünglich hatte ich eine ganz andere Route geplant: Auf meinem Section Hike wollte ich vom Walker Pass in Kalifornien die High Sierra durchwandern – das Hochgebirge der Sierra Nevada und der angeblich schönste Teil des PCT.

Doch 2023 war kein “normales” Jahr auf dem PCT (wenn es das überhaupt noch gibt): Rekord-Schneemassen machten die High Sierra bis September unpassierbar, sodass fast alle Hiker ihre Route ändern und zwischen Sektionen hin- und herspringen mussten. Und so lehrt mich der PCT, bevor er überhaupt begonnen hat, bereits die erste Lektion: loslassen. In diesem Fall meine komplette Route – und all meine Erwartungen.

Bridge of the Gods: Der Columbia River trennt Oregon und Washington

Anstatt durch die High Sierra Kaliforniens zu wandern, startete ich also drei Tage später als geplant spontan im Norden Oregons. Einfach, weil Cascade Locks leicht mit Öffis zu erreichen war, mich Oregon interessierte und ich nicht wusste, dass die anderen Hiker größtenteils noch in Nordkalifornien waren.

Zu meinem holprigen Start trug noch mehr bei: eine unfassbar stressige Abreise (inkl. Fertigstellen von Kundenprojekten in letzter Minute – ein Offline-Sabbatical als Soloselbstständige ist echt hart ;), Probleme bei der Einreise, verlorenes Gepäck (es kam nach drei Tagen), ein verpasster Flug nach Portland – und dass ich die geplante Route vor Ort komplett umwerfen musste, alleine und ohne Fernwander-Erfahrung. Uff.

Rückblickend entpuppte sich Oregon jedoch als die Überraschung der gesamten Reise und mein Plan, einfach nach zwei Wochen Oregon in Richtung High Sierra aufzubrechen, als Fail – doch mehr dazu später…

Zwei Monate PCT – das Abenteuer beginnt!

Woche 1: Cascade Locks – Timberline Lodge/Mt. Hood, via Eagle Creek | 81,5 km | 4,5 Tage

Als ich mit meinem viel zu schweren Rucksack unsicher auf der menschenleeren Hauptstraße in Cascade Locks herumstehe, fühle ich mich überhaupt nicht mehr abenteuerlich. Ich weiß noch nicht einmal, wie ich mit dem Ding überhaupt geradeaus laufen soll, geschweige denn bergauf. “You’re carrying your fears”, sagte mir ein Hiker später, und genauso ist es.

Obwohl ich auf eine leichte Ausrüstung gesetzt habe, schleppe ich anfangs noch viel zu viel mit mir herum. Vorsichtshalber habe ich Essen für 7-8 Tage im Rucksack (4-5 hätten für den ersten Abschnitt locker gereicht), dazu trage ich 2-3 Liter Wasser. Und als wäre das noch nicht genug, kaufe ich im General Store noch schnell eine große Gaskartusche und noch mehr Snacks, bevor ich mich langsam in Richtung Ortsende aufmache, wo der Trail beginnt.

Eigentlich hatte ich erwartet, hier auf andere Hiker zu treffen, doch der Ort wirkt wie ausgestorben. Die Thirsty Coffee Bar ist geschlossen. Schade, denn das wäre der letzte Kaffee für die nächsten Tage gewesen. Bei der Bridge of the Gods mache ich einen Fotostopp – ein ikonischer Ort und Meilenstein entlang des PCT! Auf der anderen Seite der Brücke ist bereits Washington, doch mein Ziel liegt in die andere Richtung: der majestätische Vulkan Mount Hood, den ich schon lange einmal sehen wollte.

Eine wilde Mischung aus Aufregung, Emotionen und den ersten Zweifeln steigt in mir hoch. Irgendetwas zwischen “Was mache ich hier eigentlich? Bin ich verrückt?”, und “Omg, ich kann nicht glauben, dass ich wirklich hier bin und es wirklich tue!” Und dann lade ich noch eine letzte Insta Story hoch (solange ich noch Empfang habe), wuchte mir das Monster auf den Rücken und laufe einfach los.

Entlang von Wasserfällen am Eagle Creek Trail

Die ersten zwei Tage geht es nur bergauf. Die ersten 31 km wandere ich nicht auf dem PCT, sondern auf dem parallel verlaufenden Eagle Creek Trail. Diese Parallelroute führt an vielen tollen Wasserfällen vorbei, bevor sie ca. 1.400 Höhenmeter weiter oben in den Bergen wieder auf den eigentlichen PCT trifft.

Leicht bepackte Tageswanderer ziehen an mir vorbei, als ich mich in der Nachmittagshitze bergauf durch das Tal schleppe. Kalte Bäche sprudeln neben dem steinigen, schmalen Pfad und sorgen für etwas Abkühlung. Zum ersten Mal filtere ich mir in der Wildnis Trinkwasser aus einem Bach. Es schmeckt wunderbar!

Anfängerfehler & Migräneanfall

Es ist bereits mitten am Nachmittag und die Hitze wird unerträglich. Ich komme nur langsam voran und muss ständig anhalten, weil ich mit dem zu schweren Rucksack einfach nicht laufen kann. So langsam dämmert mir, dass ich neben dem zu schweren Rucksack noch einen weiteren Anfängerfehler mache: Ich bin viel zu spät am Tag losgelaufen und quäle mich jetzt in der größten Nachmittagshitze bei 35 Grad den Berg hoch.

Der Weg und das Tal sind trotzdem richtig schön und ich passiere immer wieder hübsche Wasserfälle. Langsam und mit vielen Pausen kämpfe ich mich weiter. Mein knallroter Kopf fängt nach einer Weile an zu pochen, und das verheißt nichts Gutes… Ich wusste, dass ich früher oder später Migräne auf dem Trail bekommen würde – wandern bzw. Anstrengung bei Hitze ist leider ein Auslöser bei mir.

Doch auch wenn meine körperliche Vorbereitung für den Trail offensichtlich zu wünschen übrig lässt, so bin ich zumindest mental vorbereitet. (Was vielleicht sogar wichtiger ist). Ich werfe mir sofort mein verschreibungspflichtiges Medikament ein (von dem ich einen ganzen Vorrat dabei habe). Ich coache mich selbst, um es noch ein bisschen weiterzuschaffen, meine Wasservorräte am Fluss aufzufüllen und einen guten Platz für die Nacht zu suchen, während sich mein Zustand immer mehr verschlechtert. Ausgerechnet heute steht mir meine erste Nacht alleine im Zelt bevor!

Die erste Nacht allein im Zelt

Die Sonne steht bereits schräg hinter den Bäumen, als ich mein erstes Camp erreiche. Zwei in meiner PCT-App markierte Plätze, auf denen man gut ein Zelt aufstellen kann, habe ich bereits passiert, als ich mich für eine Tentsite im Wald oberhalb des Trails entscheide. Eigentlich hätte ich erwartet, hier auf andere Hiker und Zelte zu stoßen, doch der Wald wirkt wie ausgestorben – mir ist auch schon länger niemand mehr begegnet.

Der Platz ist hübsch: Mehrere flache Stellen für Zelte reihen sich um eine Feuerstelle, angestrahlt von der untergehenden Sonne zwischen den Bäumen. Das Medikament wirkt noch nicht und mir geht es inzwischen so schlecht, dass ich heule. Ich versuche die Tränen noch nicht einmal zurückzuhalten – wozu auch, ich bin schließlich allein in der Wildnis. Ab sofort habe ich andere Sorgen.

Verdächtige Geräusche im Wald

Mit letzter Kraft baue ich das Zelt auf (was ich bisher nur in der Wohnung geübt habe, da ich es vorab nicht mehr geschafft habe, es richtig zu testen). Zum Glück klappt alles super! Ich zwinge mir noch eine halbe Trekking-Mahlzeit (Mac and Cheese) in den rebellierenden Körper, bevor ich in mein erstaunlich kuscheliges Bett aus aufblasbarer Isomatte und Daunenschlafsack kollabiere.

Um mich herum wird es dunkel und natürlich sind um mich herum plötzlich Geräusche im Wald. Da – ein Knacken ganz in der Nähe, ein Rascheln. Ich weiß, dass ich jetzt in keine Gedankenspirale verfallen darf und verdränge meine Angst. War da nicht dieses Bären-Warnschild am Trailhead…?

Interessanterweise erzeugt die dünne Stoff-Membran der Zeltwand ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Auch das nahe Rauschen des Bachs wirkt beruhigend. Ich werde auf keinen Fall mehr rausgehen, bis es hell ist! Immerhin ist es hier im Tal noch so warm, dass ich einfach mit meiner kurzen Wanderhose im offenem Schlafsack liegen kann. (Was danach übrigens nie wieder passierte ;). Für den Fall, dass es mir zu gruselig und einsam wird und ich mich ablenken muss, habe ich Musik und Podcasts auf dem Handy.

Doch soweit kommt es nicht einmal: Durch die Migräne und die Strapazen des Tages bin ich so fertig, dass ich nicht einmal mehr die Kraft habe, Angst zu haben. Was genau die Geräusche im Wald sind, ist mir an diesem Punkt einfach egal. Und so schlafe ich irgendwann einfach ein und es passiert – nichts.

Tunnel Falls – der vielleicht schönste Wasserfall am PCT

Am nächsten Morgen packe ich in aller Frühe mein Camp zusammen und bin kurz vor Sonnenaufgang schon auf dem Trail. Auch heute wird es extrem heiß werden und den Fehler mit der Nachmittagshitze möchte ich nicht wiederholen. Leider ist die Migräne immer noch da und ich werfe mir eine weitere Tablette ein. Auf Frühstück verzichte ich – ein Proteinriegel auf die Hand muss erst mal reichen. Es gilt, Strecke zu machen, bevor es zu heiß wird.

Doch auf einen Stopp freue ich mich heute besonders: Tunnel Falls! In Oregon und entlang des PCT gibt es viele schöne Wasserfälle, doch die Tunnel Falls sind für mich die schönsten. Der Trail führt hier direkt an schattigen, steilen Felswänden entlang und durch eine Höhle hinter dem Wasserfall hindurch (hier gibt’s ein Reel). Ich bin ganz früh hier und habe die Falls ganz für mich alleine. Was für ein magischer Ort!

Tiefpunkt an Tag 2

So schön es mit den Tunnel Falls angefangen hat: Mein zweiter Tag auf dem Trail wird noch schlimmer als der erste. Weil ich so langsam bin, komme ich erneut in die Nachmittagshitze hinein. Und je weiter ich aus dem Tal nach oben wandere, desto weniger Schatten gibt es: Ich durchwandere eine Burn Area, ein früheres Waldbrand-Gebiet mit toten schwarzen Stämmen, das gerade von der Natur zurückerobert wird.

Der Eagle Creek Trail ist auf den letzten Kilometern viel schlechter markiert und ausgebaut als der PCT, und so kämpfe ich mich den ganzen Nachmittag mit vollem Gepäck richtig steil bergauf durchs Unterholz, über umgestürzte Bäume und unter ihnen hindurch. Ich habe Mühe, dem Trail zu folgen, verlaufe mich und bin plötzlich auf dem falschen Weg, finde dann aber zurück. Meine Beine sind blutend und verschrammt und irgendwann liege ich einfach auf dem Weg.

Schlimmes Pochen im Kopf, der viel zu schwere Rucksack, die Schmerzen, die unerträgliche Hitze. Schon wieder Tränen, inneres Fluchen. Verzweiflung macht sich breit: Es ist zu hart für mich. Ich kann mit dem Rucksack einfach nicht laufen. Ich bin zu unfit. Hätte ich nur mehr trainiert. Wie kam ich nur auf die Idee (auch noch als Migränepatientin?).

Suche den Trail!
Zerschrammt dank umgestürzter Bäume

The Long Way Up

Von anderen Hikern wusste ich, dass ihr Körper die ersten Tage auf dem Trail rebelliert hat und einfach nicht wandern wollte. Ich wusste auch, dass der Punkt kommen würde, an dem ich aufgeben will. Was ich auch wusste (oder zumindest hoffte): Es geht vorbei. Langsam und mit vielen Pausen kämpfe ich mich weiter. “Eigentlich ist es nur ein Schritt nach dem anderen,” rede ich mir zu. “Komm, nur ein Schritt. Und noch einer.”

Am späten Nachmittag stoße ich oben in den Bergen endlich auf den PCT. Das PCT-Schild zu sehen und tatsächlich auf ihm zu stehen, ist irgendwie total bewegend. Ich habe es geschafft! Wieder bin ich die einzige Menschenseele weit und breit. Zudem bin ich in einer Moskitohölle gelandet! Trotz der Hitze muss ich meine Regenkleidung anziehen – die einzigen Klamotten, durch die sie nicht durchstechen können.

Im Rekordtempo baue ich mein Zelt auf, in dem ich mich den restlichen Abend vor den Biestern verstecken muss. Derweil wütet die Migräne munter in meinem Hirn weiter, sodass ich auch heute einfach zu fertig bin, mir über mein Alleinsein nachts im Wald groß Gedanken zu machen. Ich möchte einfach nur noch liegen und so schnell nicht mehr aufstehen…

Der erste Blick auf den Mount Hood

Am dritten Tag ist der Knoten geplatzt. Der PCT ist richtig schön und führt sanft bergauf und bergab durch wunderschönen, schattigen Nadelwald – viel besser als der Eagle Creek Trail am Tag davor!

Die Moskitos sind immer noch so schlimm, dass ich ohne Kopfnetz und Regenklamotte kaum anhalten kann. Aber was soll’s: Ich bin endlich oben in den Bergen, und immer wieder eröffnen sich geniale Ausblicke. Nach einer Biegung trete ich aus dem Wald heraus und sehe ihn zum ersten Mal: den schneebedeckten, 3.425m hohen Mount Hood mit seiner perfekten Vulkanform. Wow – da wandere ich also hin!

Am Nachmittag lässt die Migräne endlich nach und es ist, als würde sich ein dunkler Schleier lüften. Zum ersten Mal überhaupt verspüre ich so etwas wie Appetit und freue mich wie ein Kind, dass ich in Cascade Locks noch ein Twix gekauft habe.

Meine Nachmittags-Siesta verbringe so, wie ich mir das eigentlich vorgestellt habe auf dem PCT: Ich liege dösend auf dem weichen, trockenen Waldboden (in voller Anti-Moskito-Montur allerdings), mampfe Snacks, beobachte die Natur um mich herum und bin glücklich.

Eigentlich wollte ich hier campen, doch weil es mir endlich besser geht und der Tag noch ein paar Stunden hat, beschließe ich spontan, noch weiterzuwandern. 24 Kilometer werden es an diesem Tag, und es fühlt sich so gut an, endlich voranzukommen. Es macht sogar richtig Spaß! “Ich kann es doch”, sagt eine Stimme in meinem Kopf. Sie klingt erleichtert – und ein kleines bisschen stolz.

Auf zum Schicksalsberg!

Die nächsten Tage komme ich mir vor wie Frodo auf dem Weg zum Schicksalsberg. Mittlerweile habe ich den Mt. Hood ständig im Blick, und er kommt immer näher.

Ich wandere nach wie vor alleine, auch nachts bin ich das einzige Zelt weit und breit. Das Gefühl, ganz alleine hier draußen zu sein, ist ungewohnt und beängstigend. Gleichzeitig ist es eine kraftvolle und völlig neue Erfahrung zu erleben, wie gut alles klappt und wie gut ich mich trotz allem durchschlage. Ich rede mir ein, dass ich hier draußen sogar sicherer bin als unter Menschen, und dass mich die Natur nicht umbringen will, sondern beschützt.

Ein paar vereinzelte PCT Hiker sind mir in der Zwischenzeit schon entgegengekommen, die kurzen Begegnungen sind für mich immer ziemlich aufregend. Sie sind bereits mehr als 3 Monate unterwegs und sehen irgendwie wild aus – fit und abgehärtet, aber auch von den Strapazen gekennzeichnet, das einzige Wanderoutfit zerschlissen.

Von ihnen erfahre ich, dass die meisten Thruhiker die Sierra Nevada übersprungen haben und derzeit noch in Nordkalifornien sind. Relativ viele sind wohl auch hoch zur kanadischen Grenze gesprungen und laufen jetzt nach Süden, um die High Sierra dann hoffentlich im September passieren zu können. In Oregon ist also momentan (noch) kaum jemand – außer mir, wie es scheint. Mir dämmert, dass mein Startpunkt vielleicht doch nicht die schlaueste Wahl war…

Ramona Falls

Ich erreiche die tief eingeschnittenen Täler an den Flanken des Vulkans. Mehrere knackige An- und Abstiege führen tief hinunter – und wieder ein paar hundert Höhenmeter bergauf. In einem der Täler mache ich einen Umweg zu den bezaubernden Ramona Falls. In einem tiefgrünen, verwunschenen Tal voller Moose und Farne und einem glasklaren Bach ergießen sie sich in ganz vielen kleinen Strömen über schwarze Felsen. Wunderschön!

Nur ein kleines Stück weiter erwartet mich am Sandy River meine erste Flussdurchquerung. Davor hatte ich tatsächlich ziemliche Angst, da ich damit auch keine Erfahrung habe. Der Sandy River speist sich aus zwei Gletschern am Mount Hood, und obwohl er nur ein paar Schritte breit ist, ist er aufgrund des starken Schneefalls reißend und angeschwollen. Doch es führt kein Weg daran vorbei – ich muss durchwaten.

Die erste Flussdurchquerung

Ich warte eine Weile am Ufer in der Hoffnung, dass evtl. eine andere Wanderin oder ein Wanderer vorbeikommen. Warum ist hier niemand!? Es ist bereits Vormittag und ich weiß, wenn ich noch länger warte, schwillt der Fluss noch mehr an. (Der frühe Morgen ist die beste Zeit zum Furten).

Da ich hier nicht campen möchte, suche ich am Flussufer nach einer guten Stelle. Das milchige Wasser voller Sedimente lässt keinen Blick auf den Grund zu und ich teste die Tiefe vorsichtig mit einem Trekkingstock. Ich zögere, doch ich weiß, dass es nichts bringt – ich muss, will da rüber. Und doch kostet es mich eine riesen Überwindung. Schließlich gebe ich mir einen Ruck, stabilisiere mich mit beiden Trekkingstöcken, und steige in das eiskalte, laut rauschende Wasser.

Sieht auf Fotos viel harmloser aus als er an dem Tag war: Sandy River

Um Verletzungen vorzubeugen, muss ich die Schuhe anlassen, und das eisige Wasser trifft mich wie ein Schock. (Auf Weitwanderungen wie dem PCT hat man aus Gewichtsgründen keine weiteren Schuhe für Flussfurten dabei. Da man in leichten Trailrunnern läuft, trocknen sie anschließend beim Laufen schnell wieder).

Das Wasser geht mir nur bis zum Knie, doch es hat so eine Kraft, dass ich denke, gleich reißt es mich weg. Einen Fuß anzuheben und einen Trekkingstock umzusetzen ist unglaublich anstrengend, doch irgendwie gelingt es mir, mich zu fokussieren und zu stabilisieren. Es sind nur wenige Schritte, und doch ist die ganze Situation so scary, dass ich am anderen Ufer vor lauter Erleichterung kurz in Tränen ausbreche, Knie und Hände zitternd vom Adrenalin. Ich habe es geschafft – und bin meinem Ziel wieder ein kleines Stückchen näher.

*Das war übrigens die schlimmste Furt für mich auf dem PCT! Andere waren teilweise breiter oder tiefer, aber zum Glück einfacher. Meistens konnte ich über Felsen oder Baumstämme balancieren und bekam noch nicht mal nasse Füße.

Aufstieg zum Mount Hood

Nach einer wohlverdienten Pause in der Sonne am idyllischen Ufer eines kleinen Bachs beginne ich den Aufstieg über die Flanken des Mount Hood. Die alpine Landschaft ist wunderschön: Ich wandere durch Geröll-Täler mit Gletscherbächen, Wälder mit uralten Nadelbäumen, von denen Flechten herabhängen, alpine Wiesen mit Wildblumen, Aschefelder, die wirken wie Sand. Ich überquere die letzten kleinen Schneefelder (oder kraxele um sie herum) und begegne sogar Murmeltieren.

Je höher ich komme, desto spektakulärer werden die Ausblicke: Um mich herum sind endlose Wälder, aus denen am Horizont schneebedeckte Vulkane emporragen: Mount St. Helens im Norden und Mt. Jefferson im Süden – mein nächster Schicksalsberg.

Die Stille und Weite sind unglaublich schön.

Auf einer kleinen Lichtung auf 1.700m Höhe baue ich mein Camp auf und verbringe dort eine letzte, kalte Nacht. Morgen bin ich da – und kriege Frühstück, und frischen Kaffee!

Blick auf den Mt St. Helens zum Sonnenaufgang

Ankunft in der Timberline Lodge

Am nächsten Morgen wandere ich die letzten paar Kilometer durch die alpine Sommerlandschaft, bis ich plötzlich die Timberline Lodge am Hang unter mir erspähe.

Unter PCT Hikern genießt das auf 1.800m Höhe am Mt. Hood gelegene Hotel einen legendären Ruf aufgrund seines reichhaltigen All-you-can-eat-Frühstücksbuffets (30 USD netto p.P). Manchen von euch ist es vielleicht bekannt als Hotel aus “The Shining”, da hier die Außenaufnahmen gedreht wurden. Beides klingt vielversprechend und so kann ich es kaum erwarten, es zu betreten – dreckig und ungewaschen, wie ich mittlerweile bin.

Oben: Wunderschöne Ausblicke vom Mt Hood, Mt Jefferson am Horizont
Der PCT führt hinauf an die Flanken des Mount Hood

Wenn du aus der Stille der Wildnis kommst, ist die Ankunft in der Zivilisation jedes Mal ein kleiner Schock.

Eine wilde Mischung aus Tagesausflügler*innen in Shorts und dick eingepackten Wintersportler*innen bevölkert die Umgebung des ikonischen Hotels. Bizarrerweise fahren die Leute hier bei gefühlt 30 Grad Ski auf den letzten Resten aufgeweichter Pisten (im Juli – Timberline ist wohl das einzige Ganzjahres-Skigebiet der USA). Wie gerne würde ich hier einmal Skifahren – doch ich habe Besseres zu tun: das Buffet!

Die historische Timberline Lodge am Mount Hood

Geschafft!

Ich hetze hinein, denn ich bin schon so spät dran, dass ich panische Angst habe, das Buffet verpasst zu haben. “Alles gut,” versichert man mir in der gemütlichen, mit Holzschnitzereien verzierten Lobby. Das Frühstücksbuffet sei gleich vorbei, würde aber in das Lunch-Buffet übergehen, und ich dürfe gerne so lange sitzenbleiben, wie ich will. Ich hatte große Hoffnungen, spätestens hier auf andere PCT Hiker zu treffen, doch der freundliche, aber auch sehr erstaunte Empfang belehrt mich eines Besseren – ich sei heute die erste und einzige PCT-Wanderin.

Schade, doch meine riesige Freude über “echtes” Essen und endlose Coffee Refills überwiegt, und ich schlage mir erst einmal den Bauch voll. Zudem habe ich hier Empfang und kann Nachrichten beantworten und Freunde und Familie wissen lassen, dass ich überlebt habe.

Sehr gerne hätte ich in der Lodge übernachtet, doch 240 USD für das einzige noch freie Zimmer (mit Stockbetten, ohne Frühstück) war es mir dann doch nicht wert. Und so nehme ich ein paar Stunden später den Shuttlebus hinunter ins Tal nach Government Camp.

Der einzige Ort der Gegend besteht aus einer Hauptstraße, ein paar Ski Lodges, Restaurants und einem Post Office. Zudem gibt es hier einen General Store, den ich für meinen Resupply benötige. Ich habe großes Glück und ergattere ein günstiges Stockbettzimmer im Huckleberry Inn direkt an der Hauptstraße – und kann euch gar nicht sagen, wie gut sich diese erste heiße Dusche und eine (warme) Nacht in einem Bett angefühlt haben…

Wie es mir auf meiner nächsten Etappe ergangen ist, lest ihr hier in Kürze! Stay tuned!

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